Table of Contents

  1. Welches Weltbild ist nötig, um die Welt zu retten?
  2. Wie sind wir hierhin gekommen?
  3. Was tun? Der konservative Ansatz
  4. Was tun? Der revolutionäre Ansatz
  5. Fazit
  6. Referenzen

Welches Weltbild ist nötig, um die Welt zu retten?

Die Beweise sind nicht mehr zu übersehen - wir stecken mitten in der Klimakrise, nicht in naher oder ferner Zukunft, die Krise ist bereits da und zeigt sich in vielen Facetten. Aber wir haben es nicht nur mit einer Krise des Klimas zu tun, es geht vielmehr um eine allumfassende ökologische Krise.

Neun planetare Grenzen (siehe Abbildung 1) haben Wissenschaftler im Jahr 2009 1 definiert und 2015 überarbeitet 2. Diese Grenzen beziehen sich auf verschiedene Facetten des Ökosystems Erde und definieren, mit gewissen Unsicherheiten behaftet, Grenzen, die von der menschlichen Zivilisation nicht überschritten werden sollten. Andernfalls wird ein instabiler Zustand der Natur auf der Erde wahrscheinlich, in dem die Zukunft menschlichen Lebens in Gefahr gerät.

Abbildung 1: Planetare Grenzen, Abbildung adaptiert von 2, Autor: Felix Jörg Müller, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Die Klimakrise ist dabei nur eine von drei planetaren Grenzen 2, die die Menschheit bereits überschritten hat. Die anderen zwei sind die Unversehrtheit der Biosphäre (insbesondere das Artensterben) und Biogeochemische Kreisläufe (Stickstoff- und Phosphorkreislauf) (siehe Abbildung 1). Man kann es nicht anders sagen: wir zerstören systematisch die Natur und damit das Ökosystem der Erde. Wie konnte es dazu kommen? Und was müssen wir tun? In diesem Text möchte ich anreißen, welche Ideologie und welches Weltbild uns in die jetzige Situation geführt haben und welche verschiedenen Lösungsansätze momentan diskutiert werden.

Es soll hier nicht darum gehen, Details von Maßnahmenpaketen zu diskutieren oder technologische Innovationen zu bewerten. Viel mehr beschäftigt mich die Frage: Welche Ideologie befeuert die Zerstörung der Natur und wie können wir unser Denken verändern, um das Handeln zu verbessern und den Zusammenbruch der Ökosysteme der Erde zu verhindern?

Es gibt die technokratische Vorstellung, wir müssten doch nur der Wissenschaft folgen und unsere naturwissenschaftlichen Erkenntnisse in die Tat umsetzen. Zum politischen Handeln, und nur dieses kann eine weitere Eskalation der Ökokrise verhindern, benötigen wir jedoch auch eine normative Vorstellung wo wir hin wollen und einen ideologischen Unterbau, der uns die Richtung weist. Wir brauchen eine Geschichte, an der wir uns ausrichten können. Ich habe nicht den Anspruch, das Thema vollständig und abschließend zu erörtern, vielmehr möchte ich eine grobe Zusammenfassung liefern und zum Denken anregen.

Wie sind wir hierhin gekommen?

Die Ideologie des Westens, wesentlich geprägt durch das Judentum und das Christentum, nimmt in Bezug auf die Natur eine dominante Position ein. Der Mensch soll sich die Welt unterwerfen und sie seinen Zwecken dienlich machen. So heißt es in der Bibel: „Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde und unterwerft sie und waltet über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen!“ (Genesis 1,28 EU). In diesem Bild ist der Mensch nicht Teil der Natur sondern steht abseits oder sogar über ihr. Natur wird als Gegensatz zur menschlichen Zivilisation und Kultur verstanden, sie ist passive Kulisse für menschliches Handeln und ein (unendliches) Reservoir an Rohstoffen, das der Mensch für sich nutzen soll.

In der Aufklärung wurde dieses Bild nicht verworfen. Aus den Triumphen des heliozentrischen Weltbildes und der Evolutiontheorie (im 19. Jahrhundert) folgte keineswegs, dass es mit der Einzigartigkeit des Menschen nicht so weit her ist. Vielmehr wurde, folgt man Yuval Noah Harari (3,4) der Mensch im Humanismus selbst zum Gott erhoben. Dieses Bild lebt in unserer heutigen Gesellschaft, die natürlich im Wesentlichen von der Aufklärung geprägt ist, fort.

Unser Wirtschaftssystem beruht wesentlich auf der Ausbeutung der Natur und ihrer Resourcen, sei es als Lieferant von Nährstoffen oder als Quelle von Energieträgern wie Kohle und Öl. Schäden der Natur sind dabei sogenannte Externalitäten, also Faktoren, die nicht in den Markt integriert und damit nicht eingepreist sind. Auch im Kleinen werden dabei gesellschaftliche und wirtschaftliche Interessen und Naturschutz im Wesentlichen als Gegensätze verstanden, die es auszubalancieren (immerhin!) gilt. Beispielsweise müssen heute in Deutschland für jedes Baugebiet Ausgleichsflächen an anderer Stelle geschaffen werden, ganz so, als ob Ökosysteme sich einfach beliebig auseinander- und wieder zusammensetzen ließen.

Dieses Narrativ hat uns zur heutigen Situation geführt: der Mensch hat sich die Welt vollständig zum Untertan gemacht und sich, durch technologischen Fortschritt und die Entfesselung gewaltiger Energiemengen, zum Herrscher über die Erde aufgeschwungen. So sehr, dass es den Vorschlag gibt, die aktuelle geologische Epoche der Erde als Anthropozän zu bezeichnen.

Was tun? Der konservative Ansatz

In der konservativen Erzählung wird der katastrophale Zustand der Erde nicht als umfassende gesellschaftliche und ideologische Krise verstanden, sondern als ein technologisches Problem. Die Ökokrise ist kein Indiz für ein Scheitern unseres kapitalistischen Wirtschaftssystem, sondern ein logischer Entwicklungsschritt. Laut dieser Vorstellung entwickeln sich Ökonomien von einer agrarisch geprägten Ökonomie über eine, stark verschmutzende, Industriegesellschaft hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft. In dieser Dienstleistungsgesellschaft spielen umweltschädliche Produktionsweisen eine geringe Rolle und Industrien, befeuert durch technische Innovationen, die vom erwirtschafteten Reichtum ermöglicht werden, produzieren auf nachhaltige Weise. In dieser Phase soll es zu einem “grünen” Wachstum kommen, in dem sich Treibhausgasemissionen und Wirtschaftswachstum, die historisch gesehen stark korrelieren, voneinander entkoppeln.

Den theoretischen Unterbau zu dieser Ansicht liefert die sogenannte “Umwelt-Kuznets-Kurve” (siehe Abbildung 2). Diese stellt die Hypothese auf, dass die Umweltbelastung einer Volkswirtschaft in Abhängigkeit vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf zunächst ansteigt, dann ein Maximum erreicht und danach abfällt. Es gibt mehrere denkbare Gründe für eine solche Entwicklung. Zum Beispiel könnte es mit steigendem Einkommen einen verstärkten Wunsch nach Naturschutz in der Bevölkerung geben und der Reichtum in der Gesellschaft ermöglicht die Entwicklung technischer Innovationen. Es ist jedoch stark umstritten, ob die Umwelt-Kuznets-Kurve wirklich existiert, insbesondere im Hinblick auf Naturschäden wie Artensterben oder vermehrter Landnutzung (z.B. Versiegelung von Böden durch Straßenbau und die Ausdehnung von menschlichen Siedlungen).

Abbildung 2: Links: Umwelt-Kuznets-Curve. Bild von Oliver Richters, Institut für zukunftsfähige Ökonomien, Bonn, 2020 - Grünes Wachstum, CC BY-SA 4.0,
Rechts: CO2-Emissionen (durchgezogene Linien) und BIP (Punkte) pro Kopf in drei ausgewählten Ländern. In allen drei Ländern ist die Wirtschaft in den letzten dreißig Jahren gewachsen. Während jedoch in den USA und Deutschland die Emissionen pro Kopf fielen (absolute Entkopplung), sind sie in China gestiegen (auf erheblich niedrigerem Nivea als in den USA und Deutschland).

Nichtsdestotrotz ist das Ziel des grünen Wachstum in Deutschland und Europa politischer Mainstream und spiegelt sich in den politischen Programmen der meisten Parteien und zum Beispiel auch im European Green New Deal wider 5. Ob es ein grünes Wachstum im Sinne einer absoluten Entkopplung von Treibhausgasemissionen (und anderen Umweltfaktoren) und BIP-Wachstum geben kann, ist eine hitzige Debatte unter Nachhaltigkeitsforschern und Umweltökonomen und eine detaillierte Behandlung würde den Rahmen hier sprengen (siehe z.B. 6). Man kann jedoch festhalten, dass es zwar in einigen westlichen Industrieländern in den letzten drei Dekaden zu einer relativen und teilweise auch absoluten Entkopplung gekommen ist. Das Tempo dieser Entkopplung ist jedoch bisher bei weitem nicht ausreichend, um in ausreichender Zeit zu einer nachhaltigen, d.h. klima- und sogar ökoneutralen, Wirtschaft zu gelangen (siehe Abbildung 2). Darüberhinaus ist eine solche Entkopplung in Schwellen- und Entwicklungsländern ganz und gar nicht zu beobachten.

Zusammengefasst ist die Ideologie dieses Ansatz ein “Weiter so, nur anders”. Der Mensch und seine Wirtschaft stehen außerhalb der Natur. Die Natur ist ein Dienstleister für die Menschen, den wir ab sofort etwas besser behandeln sollen, nicht jedoch gleichberechtigt in unser Tun einbeziehen müssen. Dieser Lösungsansatz bewegt sich also im konventionellen Rahmen der Marktwirtschaft und präferiert folgerichtig marktwirtschaftliche Instrumente (Internalisierung von Externalitäten z.B. über einen CO2-Emissionshandel). Wir sollen weiterhin im gleichen Maße konsumieren und unseren Reichtum steigern, während technische Innovationen und Effizienzsteigerungen in allen Bereichen dazu führen, dass dies auf nachhaltige Weise geschieht.

Der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber sieht diesen Ansatz kritisch und bezeichnet unsere jetzige Zeit als “Omega-Phase” 7. Dies ist ein Begriff aus der Wirtschaft und bezeichnet die ruinöse Phase, in der ein Betrieb versucht, seine Probleme zu lösen, indem das bestehende Geschäftsmodell intensiviert wird. Doch was wäre ein alternatives Weltbild?

Was tun? Der revolutionäre Ansatz

Ein vollkommen neuer Ansatz wäre es, den Mensch nicht mehr außerhalb der Natur, sondern als einen integrierten Teil des Ökosystems Erde zu sehen. Statt die Wirtschaft und Gesellschaft als der Natur übergeordnete Systeme zu sehen, sind sie ein Teil der Ökosphäre (“embedded economy”, Abbildung 3). Der Mensch ist ein wichtiger Faktor im Ökosystem der Erde, dessen Aktivitäten lokal und global gewaltige Auswirkungen auf seine Umwelt haben.

Abbildung 3: Doughnut-Ökonomie nach Kate Raworth 8.

Gleichzeitig wird die Erde nicht mehr als passive Bühne verstanden, auf der sich die Zivilisation der Menschen entfaltet, sondern als aktiver Mitspieler. Dies bedeutet gewissermaßen eine Rückkehr zu nichtabrahamitischen Konzepten der Erde, was sich eigentlich als logische Folge der Rollenänderungen des Menschen in den letzten Jahrhunderten verstehen lässt: vom heliozentrischen Weltbild über die Evolutionstheorie zum nicht-existenten freien Willen - der Mensch musste schon einige Demütigungen einstecken, warum sollte er sich weiter als Herrscher über die Natur verstehen?

Vielmehr ist in letzter Zeit das Konzept der “Earth Stewardship” aufgekommen: der Mensch als Verwalter der Erde, dessen Kräfte so mächtig geworden sind, dass er, ähnlich einem Kind, das über die Jahre lernen muss, mit seinen Kräften hauszuhalten, sich zügeln und zurücknehmen muss. Ein “Steward” trägt Verantwortung für das, was er verwaltet, dieser Verantwortung muss der Mensch endlich nachkommen und ein erster Schritt wäre, sich wieder als integralen Bestandteil der Natur zu verstehen.

Das mag erstmal banal klingen, hat aber unter Umständen radikale Auswirkungen:

Dies sind nur drei Beispiele einer viel größeren Umwälzung, die ein solche verändertes Weltbild zur Folge haben könnte. Das Wichtigste ist jedoch folgendes: Wer sich als Teil der Natur begreift statt als ihr Herrscher oder Kunde von Ökosystem-Dienstleistungen, der verändert seine Einstellung zur Natur fundamental. Ein Wald ist dann nicht mehr nur ein Reservoir für Holz, der man in Festmetern und Holzpreisen bewertet, es ist ein Lebewesen, das ein Recht auf Leben hat. Um es mit Charles Eisenstein zu sagen:

“Das heißt nicht, wir sollten nie wieder Bäume fällen. Es soll heißen, dass diese Handlung nie aufgrund einer Ideologie ausgeführt werden sollte, die die Heiligkeit der Bäume und sonstigen Lebens nicht anerkennt. Wenn wir Wälder nach Festmetern oder Holzpreisen bewerten, wenn wir die Meere nach Tonnen an Protein oder Eurowert gefangener Fische bewerten, wenn wir Nationen »Ökonomien« nennen und Menschen »Konsumenten«, wenn wir Orte als Eisenerz-, Bauxit- oder Goldlagerstätten sehen, wenn wir diese Mineralien nur als Mineralien betrachten, die zufällig abgelagert worden sind und keinen Bezug zum Leben um sie herum haben, wenn wir in einem Wald oder Torfmoor nur deren Sequestrierungspotenzial sehen, dann fassen wir die Erde als Maschine auf, nicht als Organismus – als tot, nicht als lebendig. Der Grund, weshalb unser gegenwärtiges Produktionssystem die Welt umbringt, ist, dass es von Anfang an davon ausgeht, die Welt sei tot. Was gibt es da zu lieben?” (Auszug aus 12).

Fazit

Es ist wichtig, festzustellen, dass es natürlich auch mit unserem gegenwärtigen Weltbild und dem konservativen Ansatz Natur- und Klimaschutz zu einem gewissen Grad geben kann und gibt. Das Problem besteht jedoch darin, dass jeglicher Naturschutz immer als Zugeständnis an den externen Faktor Natur verstanden wird und damit permanent unter Rechtfertigungsdruck steht. In einem alternativen Weltbild, in dem sich der Mensch als einfaches Mitglied der Natur begreift, wäre dieser Rechtfertigungszwang umgedreht. An die Stelle des Kampfes tritt die positive Vision einer symbiotischen Lebensweise, in dem der Mensch im Einklang mit der Natur lebt, jedoch ohne die Vorzüge des modernen Lebens aufzugeben.

Welches Narrativ sich letztlich durchsetzen wird, steht in den Sternen. Momentan sieht es so aus, als würde der konventionelle Ansatz und sein grünes Wachstum die Oberhand behalten, denn er bildet sowohl in Europa, den USA und allen internationalen Institutionen den politischen Mainstream. Es könnte jedoch sein, dass wir gerade eine wahre Zeitenwende erleben, in der sich unser Weltbild, ähnlich wie in der Aufklärung vor 300 Jahren auf den Kopf stellt.

Referenzen

1 Rockström, J., Steffen, W., Noone, K., Persson, Å., Chapin III, F. S., Lambin, E., … & Foley, J. (2009). Planetary boundaries: exploring the safe operating space for humanity. Ecology and society, 14(2).

2 Steffen, W., Richardson, K., Rockström, J., Cornell, S. E., Fetzer, I., Bennett, E. M., … & Sörlin, S. (2015). Planetary boundaries: Guiding human development on a changing planet. Science, 347(6223).

3 Yuval Noah Harari, “Eine kurze Geschichte der Menschheit”

4 Yuval Noah Harari, “Homo Deus - eine Geschichte von Morgen”

5 The European Green New Deal: https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/european-green-deal_en

6 Jackson, T., & Victor, P. A. (2019). Unraveling the claims for (and against) green growth. Science, 366(6468), 950-951.

7 Philipp Blom, “Das große Welttheater”

8 K. Raworth, Raworth, K. (2017). Doughnut economics: seven ways to think like a 21st-century economist. Chelsea Green Publishing.

9 “End Ecocide on Earth - International justice for the environment”, https://www.endecocide.org/en/

10 “Rights of Nature”-Bewegung, https://www.therightsofnature.org/

11 William McDonough, Michael Braungart: Cradle to cradle : remaking the way we make things. Vintage, 2009, ISBN 978-0-09-953547-8.

12 Charles Eisenstein, “Klima - eine neue Perspektive”.